AUSSENSEITER DER GESELLSCHAFT
– DIE VERBRECHEN DER GEGENWART –
AUSSENSEITER
DER GESELLSCHAFT
– DIE VERBRECHEN DER GEGENWART –
HERAUSGEGEBEN VON
RUDOLF LEONHARD
BAND 12
VERLAG DIE SCHMIEDE
BERLIN
VON
KURT KERSTEN
VERLAG DIE SCHMIEDE
BERLIN
EINBANDENTWURF
GEORG SALTER
BERLIN
Copyright 1925 by Verlag Die Schmiede Berlin
An der Bahnlinie Moskau-Saratow liegtmitten im Kiefernwald die kleine Datscheeines reichen Kaufmannes; grün und blauschimmern die Holzwände durch den Sommermorgeneines furchtbaren Jahres; alsder Streckenwächter früh vorüberkam, fielihm auf, daß Garten- und Haustür offenstanden;der Rasen war zertrampelt – derMann in der hellen Russenbluse stutzte, gingscheu in den Garten, zögerte noch einenAugenblick, bevor er die Treppenstufenhinaufging – plötzlich stieß er einen Schreiaus, wandte sich um und lief davon –„Mord – Mord –“ brüllte er durch denWald –
Nach einer Weile kehrte er mit einemjungen Sanitätssoldaten zurück, beide hieltenden Revolver schußfertig in der Hand undgingen zögernd die Treppe hinauf, ihnenentgegen gähnte ein dunkler Flur – geradevor der Öffnung lag ein dicker Mann imNachthemd – mit starren, weit geöffnetenAugen, blutigem, vertrocknetem Schaum vordem schwarzen Mund – der Sanitäterbückte sich, entblößte eine zottige Brust,horchte, befühlte – erhob sich nach einerWeile, zuckte die Achseln: „Herzschlag –“Der Wächter setzte scheu den Fuß über denLeichnam hinweg – eine Zimmertür standoffen – Spinde, Wandschrank schienen durchwühlt,auf der Erde lag ein Bankkontobuch;sämtliche Schubfächer des altertümlichenVertikos waren erbrochen – Akten, Briefeaber unberührt – es schien den Tätern nuram baren Gelde gelegen zu sein.
Alle Nachforschungen nach den Täternblieben erfolglos.
Das Reich war in Aufruhr und Menschenlebenbillig; seit vier Jahren wütete Krieg inder ganzen Welt, seit einem halben Jahrherrschten die Arbeiter und Bauern in Rußland– eben noch erstreckte sich ihre Machtauf die Weichbilder von Moskau und Petrograd,von der Wolga rückten tschechoslowakischeSöldner unter Führung von Ententeoffizierengegen Kasan und berannten dieStadt, in Kiew wehte die schwarz-weiß-roteFahne, in Archangelsk landeten Amerikanerund Engländer, vom Ural, vom Dongebiether breiteten sich Kosakenschwärme unterder Führung zaristischer Generale weit übersLand aus, Gutshöfe brannten, Bauern wurdenvon Offiziersbataillonen grausam zu Todegemartert, in den Städten traute k