Bernhard Kellermann
Yester und Li. Roman
Meiner Schwester Erika
• 3. Auflage •
BERLIN und LEIPZIG • 1905
Magazin-Verlag Jaques Hegner
Alle Rechte vom Verleger vorbehalten
Gedruckt in der Spamerschen
Buchdruckerei zu Leipzig
Ginstermann kam spät in der Nacht nach Hause.Es mochte zwei Uhr sein. Vielleicht auch drei Uhr.Vielleicht noch später. Er wußte es nicht. Langsam,ganz langsam war er durch die Straßengewandert.
Über den Boden seines Zimmers war einSchleier von Licht ausgebreitet, der leise zitterte,als er die Türe schloß. Der Mond schien durchdie Vorhänge. Auf den Blechgesimsen pochte es,dumpf, in unregelmäßigen Zwischenräumen, wieein Finger. Es sickerte, rieselte, die Tiefe schluckte.Der Schnee ging weg.
Ginstermann machte Licht. Es war ihm, alssei noch eben jemand im Zimmer gewesen, alssei er jetzt noch nicht allein. Auf dem Tischelagen seine Manuskripte verstreut, wie er sie amAbend verlassen hatte, die Kleidungsstücke auf denStühlen, das Kissen auf der Ottomane in dergleichen Lage.
Er blickte zum Fenster hinaus, in den dunklenHof hinab, er übersah den Kram seines Zimmers,die Skizzen an den Wänden. Alles erschien ihmsonderbar, rätselhaft, wie von einem Finger berührt,der es veränderte.
Draußen klopften die Tropfen, und es schien,als ob sie eine seltsame Sprache redeten. Einleiser Hauch drang durch die Vorhänge, und auchder Hauch schien geheimnisvolle Worte mit sichzu führen.
Wer spricht zu mir? dachte Ginstermann.
Will mir diese Nacht alle Wunder der Weltund meiner Seele zeigen, um mich zu verwirren?Alles schwankt und fällt, was eben noch feststand.Alle Begriffe sind verworren. Ist es nicht, als seiich aus langem Schlafe erwacht, und folgten mirwunderbare Träume in mein Erwachen?
Wer bin ich? Ich habe vergessen, wer ichbin, und weiß nur, daß ich ein anderer bin, alsder ich zu sein glaubte.
Und welch geringen Anlasses bedurfte es, ummeine Seele zu verwandeln?
Wer aber bist du? daß du solche Macht übermich hast?
Wer aber bist du, daß ich nicht an dir vorübergehenkann wie an anderen Menschen . . . . . .
Er sann und sann.
Da wurde es Morgen.
Diesen Abend ereignete sich etwas Außergewöhnliches:Ginstermann ging mit zwei Damen über dieStraße. Mit zwei jungen Damen in elegantenAbendmänteln.