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Faust.
—
Ein Gedicht
von
Woldemar Nürnberger
(M. Solitar.)
— — — — — — — — — — — — — — et omnisSubinitur natura, dolor quam consequitor rem.Lucret.
Berlin 1842.
Bei Wilhelm Logier.
Inhalt1. Im Giebelhaus2. Die schönen Bützerinnen3. Calvari4. Dolores5. Lucretia6. Die letzte Manto7. Die heimath8. Zu Sankt Maria9. Diana von San Pietra10. Am Ocean11. Schön Hertha12. Die alten Zechner13. Paraklet14. Das Elixir des Mönches15. Beim Schwanenwirth16. Die Klosterchronik17. Am finstern See18. Grinnus19. Gebrochener Leib
Sa personnalité remplissait la nature;
On eut dit qu’avant lui aucune créature
N’avait soupiré, aimé, perdu, gémi!
Qu’il était a lui seul le mot du grand mystère,
Et que tonte pitié du ciel et de la terre
Dût rayonner sur sa fourni.
– Lamartine.
Im Giebelhaus
Im Giebelhaus am Platz Ambrosius
Wohnt Faust, ein Anatom und Medicus,
Ein tief gelehrter und gescheidter Mann,
Der manchen Griff, und manchen Schnitt ersann. —
Das Haus ist weit, mit viel verschlung’nen Bogen,
Durchkreuz’t von finstern Gängen mannichfach,
Am Frontispiz mit Schnörkeleien umzogen,
Ein alter Thurm ragt aus dem dunkeln Dach. —
Jetzt blickt zur nächt’gen todtenstillen Zeit,
Durch eines hohen Fensters runde Scheiben,
Ein Lämpchen noch mit düstrer Wachsamkeit,
Bei welchem Faustus sitzet um zu schreiben. —
Er kam unlängst von der Anatomie,
Ihn hüllet noch das Schwarze Tafft Gewand,
Das er bis Abends von des Morgens Früh’
Vom Leib nicht zog, am Leichnam festgebannt.
Auf seinem Antlitz ist viel Ernst zu lesen,
Und von Gedanken ohne Maaß und Zahl
Scheint jeder Zug durchstürmt gewesen,
Tief liegt sein Aug’ voll Gluth und Strahl,
Schwarz seine Bärte niederhingen
Von Lipp’ und Kinn, und schwarz ist auch sein Haar.
Wie war er bleich in dem Gedankenringen,
Dem er so lange heut ergeben war. —
Er legt den Griffel hin, stützt in die Hand
Das Haupt, und murmelnd ordnet er den Gang
Der Meditation, der ihm entschwand:
Als laut ein Ach! Aus seinem Busen klang.
Empor vom Sessel sprang er bald hernach
Und also lautete sein Monolog,
Wie deren oft in stiller Nacht er sprach,
Wenn Weh durch seine Seele flog.
Ruft er aus, es wäre Zeit,
Daß sich der stolze Geist, der in dem Hirne
Wühlet in überspannter Eitelkeit,
Hinabließ zu der gattenlosen Dirne
Natur, die uns das Blut im Herzen kocht,
Geheimnißvoll und launenhaft verschwiegen
Den rothen Saft durch alle Rinnen pocht,
Und wie sie will gebietet unsern Zügen.
O wir sind blind! Die zähen Nervenstränge,
Die von dem Hirne zu dem Gliedern führen,
Wir halten sie für herrschaftlich Gepränge —
Das Weib hat uns an ihren Gängelschnüren!
O daß ich stürzen dürft’ mich in den Brand,
Aus welchem sie das glühn’de Leben siedet,
Daß mir versänke die verfluchte Wand,
An der ich schon zum Wahnsinn mich ermüdet!
Dahin die bübische Glückseligkeit,
Wo ich in meinem Gott zufrieden war,
Hatt’ ich halbweg mit flinker Fertigkeit,
Muskel und Nerv geleget bloß und baar!
Wenn ich am Finger die lateinschen Namen
Hermurmelte wie an dem Rosenkranz
Gebete, die sich alle schließen Amen,
Beruhigung des grübelnden Verstands!”
Nicht mehr vermag ich’ jetzt, wie an dem Scapulier,
Das Schandlatein am Leichnam abzubeten;
Mich zehrt es auf