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LEIPZIG
KURT WOLFF VERLAG
Bücherei »DER JÜNGSTE TAG« Band 20
Gedruckt bei E. Haberland in Leipzig.
COPYRIGHT/KURT WOLFF VERLAG, LEIPZIG/1915
Diese Novellen reden im hauptsächlichen Sinn nicht
(wie das vorausgegangene Buch) vom Tod als einer
letzten Station, nicht von Trauer und vom Verzichte.
Sie sagen auch nicht: leben. Sie sagen: rasend
leben. — — Mit vierundzwanzig Jahren starb, ein
ungeheueres zersprungenes Gefäß der Kraft, zu
früh mein Landsmann und sehr großer toter Bruder
Georg Büchner. Er stammte aus Darmstadt, liebte
den Elsaß und ist mir auch sonst seltsam nahe.
Schrieb Lenz, Danton, Wozzek und die unendliche
Süßigkeit Leonce und Lenas.
Ich widme dies Buch des größten
Lebenswillens seinem großen
Andenken.
DEN ABEND war ich bei einem Freunde. Wirwaren allein. Wir hatten uns in politischen Dingenausgerast. Wir hatten Tee getrunken, der — ichglaube — sehr leicht nach dem Haar von Kamelen roch.Er sprach von einer Jagd in Turkestan. Darauf sagteich einiges und beiläufig von Wintertagen bei Utrecht.Dann redeten wir lange wieder von Paris. Ich hatte geradedie Schattenspiele der Connards erwähnt und wollteanfangen, von dem merkwürdigen Effekt zu erzählen,als ich Wolfsberg ohne Bart am Square de Vaugirardtraf . . . da war mein Freund, der ganz ruhig gesessenhatte, wie unter einem lang zurückgehaltenen Entschlußrapid aufgestanden und hatte mich durch sein Bad inein Zimmer geführt, von dessen Existenz ich keineAhnung hatte.
Er hob den Arm. Zwei Lichter am Fuß der Wändefüllten sich langsam mit prächtigem Licht und strichen inwarmen Flutungen und Bündeln die honiggelben Seitenhinauf. Dann öffnete er das große Fenster nach derStraße und schob eine Jalousie vor das Loch. Sein Profilstand rasch, von Abenteuern zerfetzt, aber gütig, vordem hellen Tuch . . . dann waren nur seine Hände da,die grotesk waren in ihrer Röte und noch mehr wiesonst denen eines Matrosen ähnlich schienen, wo sie alleinvon Licht überspielt dastanden. Kraft, die in Weichheitgebändigt war, ging von allen seinen Bewegungen aus.
Dann öffnete er gegenüber zwischen zwei Schränkendas Schiebefenster zum Garten. Sommerliche Nachtstrich herein. Das Tuch lehnte sich tief aus der Füllung.Schatten überschaukelten den Teppich und an den Wändenzog ein Klappern hin. Es war ein melancholischesunangenehmes Geräusch. Als ich aufsah, lächelte derFreund, wies mit halbgedrehter Hand auf die Bilder,die die hohe und breite Mauer in einem Gurt durchschnürten,daß über und unter ihnen eine gleiche Flächeglänzender Tapete freiblieb. Sie hingen an Stricken, Bändern,Seidenkordeln und Tauen. Einige bedeckten sichfast völlig, manche überschnitten sich mit den Rahmenund bildeten in allen Stufen und Farben zusammenhängendein eigentümliches Mosaik.
Wies auf die Bilder und sagte: „Es ist keines darunter,in dem nicht ein Erlebnis wühlte. Es ist eineLaune oder ein Experiment. Ich muß es abwarten. Ichhabe sie hier aufgehängt ohne Auswahl, ohne Ordnung,je wie ich hierher zurückkehrte und wie es mir gefiel.Es liegen Jahre in manchem eingeschlossen und