Anmerkungen zur Transkription:
Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurdenübernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler wurdenkorrigiert. Änderungen sind im Text gekennzeichnet,der Originaltext erscheint beim Überfahren mit der Maus.
Die auf den Deckelinnenseiten gedruckte Werbung für die »Schriftenfür Schweizer Art und Kunst« wurde an das Ende des Textes verschoben.
Schriften für Schweizer
Art und Kunst. 55
VERLAG RASCHER u. CIE, ZÜRICH
1916
PROSASTÜCKE
von
ROBERT WALSER
1917
VERLAG VON RASCHER & Cie IN ZÜRICH
Erstes und zweites Tausend.
Nachdruck verboten.
Übersetzungsrecht vorbehalten.
Copyright by Rascher & Co., Verlagsbuchhandlung in Zürich 1917.
Zürich
Buchdruckerei Züricher Post
Dieses Stück ist sehr einfach, es handelt von einemschönen Sommerabend und von vielen Leuten, dieam Seeufer hin- und herpromenierten. Die Menschenmenge,unter der auch ich mich befand, war ausserordentlich.Die ganze Stadt schien zu spazieren.Wenn ich sage, dass der weite, nächtliche See einemschlummernden Helden glich, dessen Brust auch imSchlafe noch von Angelegenheiten der Kühnheit undder hohen Denkart bewegt sei, so drücke ich michvielleicht etwas gewagt aus. Viele lichtergeschmückteNachen bewegten sich im dunklen Wasser. Die Strassenund Nebenstrassen, die zum See führten, schienen mirKanäle zu sein, und ich bildete mir mit Leichtigkeitein, dass die Nacht eine venezianische Nacht sei.Heller Feuerschein loderte da und dort rötlich ausdem Schwarz auf, und nächtliche Menschengestaltenspazierten in die hellen und in die dunklen Stellen.Es fehlte an Liebespaaren keineswegs, die sich hinterallerlei Dickicht zärtlich umarmten und küssten, undebenso wenig fehlte es an kosender und lispelnder,an freundlich streichelnder und gleich einem plätscherndenGewässer rieselnder Nachtmusik. Der Halbmondin der Höhe glich, wie soll ich sagen, einer Wunde,woraus ich folgere, dass der schöne Körper der Nachtverwundet war, ähnlich wie eine schöne edle Seeleverletzt und verwundet sein kann, und darum ihreHoheit und Schönheit noch deutlicher offenbart. Im Leben, das roh und unedel ist, macht sich mitunterdie verletzte edle Seele lächerlich, nicht aber in derDichtkunst, und der Dichter lacht niemals über empfindlicherSeelen Verletzbarkeit. Da ich über eine gebogeneBrücke ging, hörte ich von un