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Thomas Mann

GLADIUS DEI

- und -

SCHWERE STUNDE

Die Texte folgen den Ausgaben:

'Gladius Dei' aus »Tristan. Sechs Novellen.« Berlin, S. Fischer Verlag1903

'Schwere Stunde' aus »Das Wunderkind. Novellen.« Berlin, S. Fischer
Verlag [1914] (= Fischers Bibliothek zeitgenössischer Romane, Jg. 6,
Bd. 6)

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GLADIUS DEI

1

München leuchtete. Über den festlichen Plätzen und weißenSäulentempeln, den antikisierenden Monumenten und Barockkirchen, denspringenden Brunnen, Palästen und Gartenanlagen der Residenz spanntesich strahlend ein Himmel von blauer Seide, und ihre breiten undlichten, umgrünten und wohlberechneten Perspektiven lagen in demSonnendunst eines ersten, schönen Junitages.

Vogelgeschwätz und heimlicher Jubel über allen Gassen. …Und aufPlätzen und Zeilen rollt, wallt und summt das unüberstürzte undamüsante Treiben der schönen und gemächlichen Stadt. Reisende allerNationen kutschieren in den kleinen, langsamen Droschken umher, indemsie rechts und links in wahlloser Neugier an den Wänden der Häuserhinaufschauen, und steigen die Freitreppen der Museen hinan…

Viele Fenster stehen geöffnet, und aus vielen klingt Musik aufdie Straßen hinaus, Übungen auf dem Klavier, der Geige oder demVioloncell, redliche und wohlgemeinte dilettantische Bemühungen. Im'Odeon' aber wird, wie man vernimmt, an mehreren Flügeln ernstlichstudiert.

Junge Leute, die das Nothung-Motiv pfeifen und abends die Hintergründedes modernen Schauspielhauses füllen, wandern, literarischeZeitschriften in den Seitentaschen ihrer Jacketts, in der Universitätund der Staatsbibliothek aus und ein. Vor der Akademie der bildendenKünste, die ihre weißen Arme zwischen der Türkenstraße und demSiegestor ausbreitet, hält eine Hofkarosse. Und auf der Höhe der Rampestehen, sitzen und lagern in farbigen Gruppen die Modelle, pittoreskeGreise, Kinder und Frauen in der Tracht der Albaner Berge.

Lässigkeit und hastloses Schlendern in all den langen Straßenzügen desNordens… Man ist von Erwerbsgier nicht gerade gehetzt und verzehrtdortselbst, sondern lebt angenehmen Zwecken. Junge Künstler, rundeHütchen auf den Hinterköpfen, mit lockeren Krawatten und ohne Stock,unbesorgte Gesellen, die ihren Mietzins mit Farbenskizzen bezahlen,gehen spazieren, um diesen hellblauen Vormittag auf ihre Stimmungwirken zu lassen, und sehen den kleinen Mädchen nach, diesem hübschen,untersetzten Typus mit den brünetten Haarbandeaux, den etwas zugroßen Füßen und den unbedenklichen Sitten. …Jedes fünfte Hausläßt Atelierfensterscheiben in der Sonne blinken. Manchmal trittein Kunstbau aus der Reihe der bürgerlichen hervor, das Werk einesphantasievollen jungen Architekten, breit und flachbogig, mit bizarrerOrnamentik, voll Witz und Stil. Und plötzlich ist irgendwo die Türan einer allzu langweiligen Fassade von einer kecken Improvisationumrahmt, von fließenden Linien und sonnigen Farben, Bacchanten, Nixen,rosigen Nacktheiten…

Es ist stets aufs neue ergötzlich, vor den Auslagen derKunstschreinereien und der Basare für moderne Luxusartikel zuverweilen. Wieviel phantasievoller Komfort, wieviel linearer Humor inder Gestalt aller Dinge! Überall sind die kleinen Skulptur-, Rahmen-und Antiquitätenhandlungen verstreut, aus deren Schaufenstern dirdie Büsten der florentinischen Quattrocento-Frauen vo

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