[Seite a] Deutsche Elternbücherei
Herausgegeben von Dr. Johannes Prüfer
Heft 40
Von
Josephine Siebe
Verlag und Druck von B. G. Teubner · Leipzig · Berlin 1919
[Seite b]Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechts, vorbehalten.
[Seite c]Frau Dr. Henriette Goldschmidt
in verehrender Liebe
zugeeignet
Wenn das Kind im Märchen hört, „er ging bis an das Ende der Welt“, soscheint ihm das Ziel nicht weiter erstaunlich und der Weg für einenMärchenprinzen schon ergehbar. Denn hinter Stadt, Dorf und Wald, javielleicht schon hinter dem Gartenzaun liegt für das kleine Kind inseiner Phantasie das Ende der Welt; nahe und doch unendlich weit, weilseinem Welterkennen immer Neues entgegentritt, mit dem es sich erstauseinandersetzen muß. Der Forschungsreisende, der nach langer Fahrtunbekanntes Land erblickt, erlebt im Grunde nichts Wunderbareres als daskleine Kind, das zum ersten Male eine Straße entlang geht, einen Gartenbetritt, dem sich eine bisher unbetretene Stube, eine Bodenkammeröffnet. Tut das Kind allein seine ersten Schritte und geht etwa bis zueinem Stuhl, so ist ihm der Stuhl im Augenblick Weltgrenze und Ziel.Doch weitet sich für das Kind rasch der Weltbegriff. Hinter dem Stuhlliegt die Türe, der Flur kommt, die Treppe, das Haus tut sich auf undStraße, Hof und Garten dehnen sich vor ihm, neue Gegenstände, neueMenschen treten in den Umkreis seines Blickes und jedes Wort, das eshört, jede Blume, jedes Insekt, ein Kieselstein, ein Schneckenhaus, eineRegenlache und alles was geht, kommt und fährt erweitern des KindesWeltbild, erweitern es heute namentlich bei dem Großstadtkind mitbeängstigender Schnelligkeit; doch auch das Kleinstadtkind, ja selbstdas vom Lande, wenn es nicht in völlig abgelegener Gegend wohnt, lerntim Maschinenzeitalter die Welt ungleich rascher kennen als die Kinderfrüherer Zeiten.
Zum sinnlichen Welterfassen tritt frühe auch das Streben, sich mit Gottauseinanderzusetzen; freilich, der Himmel, der sich über uns wölbt mitSonne, M