Von
Rosalie Sandvoß.
Hamburg.
Agentur des Rauhen Hauses.
Druckerei des Rauhen Hauses. 1865.
Nun bin ich in der Heimath, vorgestern langte ichhier an. Es ist doch ein eignes Gefühl, wie ein Fremder,den Niemand kennt, den Keiner erwartet, für dennicht eine Seele einen freundlichen Gruß hat, in dieVaterstadt, in die Stadt seiner holdesten Erinnerungenzurück zu kehren. Du weißt, ich bin nicht sentimental,Pauline, aber da Du »Alles wissen willst, was sichzwischen mir und Burgwall ereignet,« so sei's gestanden,daß ich eine Art Herzweh fühlte, überall auf meinemWege zum Gasthause Personen zu begegnen, die michhöchstens mit dem Blicke der Betrachtung beehrten. Undnun im Gasthause zu wohnen, ein wirklicher Gast, einFremder daheim zu sein!
Das deutsche Haus, mit seinen Kastanien vor derThüre – sie standen richtig noch da – lockte mich heimischan: ihm gegenüber liegt ja das alte, liebe Haus,das meiner Phantasie immer als Heerd tiefsten Behagensvorgeschwebt hatte. Du erinnerst Dich gewiß, obgleichDu es als ein Kind von acht Jahren verließest, es stehtmit dem Giebel nach der Straße, hat im zweiten Stockeinen runden Ausbau, ist mit Schnitzwerk überladen undsieht auswendig gerade aus, wie ein Magister des sechszehntenJahrhunderts sich der Welt präsentirt haben mag,künstlich, solid und pedantisch. Aber inwendig ist dasanders. Gerade das Erkerstübchen war ein überaus behagliches,freundliches Zimmer, mit Blumen, vielem Lichteund duftigen Vorhängen. Ich erinnere mich, daß esgrün decorirt war, und nußholzene Möbel hatte, dieimmer wie neu polirt glänzten. In der einen Ecke standeine Harfe – Mutter spielte sie wundervoll – undmitten in einer Blumengruppe zog mich immer ein Bildan, ein Christus auf dem Meere. Das Gesicht derHauptfigur hatte einen bezaubernden Ausdruck; es schwebtmir oft vor, und ich habe schon oft es zu malen gewünscht,aber seltsam! mit diesen Heiligenbildern will esmir nie gelingen. – Mutter schien sich stets zu freuen,wenn ich bei den seltenen Gelegenheiten, da sich mirdies Zimmer öffnete, lange betrachtend vor dem Bildestand, sie hatte eine etwas bigotte Richtung, die herrlicheSeele, und hat sich, glaube ich, über die nichtssagendstenDinge, das Leben schwer genug gemacht. Du hast Mutterkaum gekannt, Pauline, Du warst erst sechs Jahr alt,als sie starb, ich sechszehn. Sie war ein Engel – aberetwas überspannt, ich glaube nicht, daß Vater ganz glücklichmit ihr war. Von einer alten Tante, so einer ArtNonne, erzogen, brachte sie eine Last von Vorurtheilenunserm lebensfrohen, geistvollen Vater zu, und nur seinerLiebe zu ihr ist es wohl zuzuschreiben, wenn er nie darüberklagte, daß sie in ihrer Ehe stets ihren eignen Gangging und sich nicht zu Vaters Lebensanschauung erhebenkonnte. Kinder beobachten schärfer als man gewöhnlichglaubt, ich habe öfter bemerkt, wie still und ernst Mutterihre Vorkehrungen traf, wenn Vater Gesellschaft gebetenhatte, wie erschreckt sie von ihrem Buche aufsah, wennspät Abends ein munteres Gelächter oder jubelnde Toastein das Schlafzimmer hinauf schallten, wo sie uns sosorglich gebettet hatte und dann lesend des Vaters harrte.– Erinnerst Du Dich nicht, wie sie uns beten lehrte?– Die liebe Heilige! Ich denke nicht ohne Rührung ansie, aber ich möchte um keinen Preis, daß Du ihr einstglichest. Ich bin kein Heide, aber mir schaudert vordieser Pietisterei; sie vergällt die reinsten, unschuldigsten,harmlosesten Freuden, und verdammt ihre Opfer zurgänzlich unnöthigen, unfrucht