In deutscher Bearbeitung von Hermann Hauff.
Nach der Anordnung und unter Mitwirkung des Verfassers.
Einzige von A. v. Humboldt anerkannte Ausgabe in deutscherSprache.
Band 4
1865
Der Cassiquiare. — Gabeltheilung des Orinoco.
Am 10. Mai. In der Nacht war unsere Pirogue geladen worden, undwir schifften uns etwas vor Sonnenaufgang ein, um wieder den RioNegro bis zur Mündung des Cassiquiare hinaufzufahren und den wahrenLauf dieses Flusses, der Orinoco und Amazonenstrom verbindet, zuuntersuchen. Der Morgen war schön; aber mit der steigenden Wärmefing auch der Himmel an sich zu bewölken. Die Luft ist in diesenWäldern so mit Wasser gesättigt, daß, sobald die Verdunstung an derOberfläche des Bodens auch noch so wenig zunimmt, die Dunstbläschensichtbar werden. Da der Ostwind fast niemals zu spüren ist, sowerden die feuchten Schichten nicht durch trockenere Luft ersetzt.Dieser bedeckte Himmel machte uns mit jedem Tage verdrüßlicher.Bonpland verdarben bei der übermäßigen Feuchtigkeit seinegesammelten Pflanzen und ich besorgte auch im Thal des Cassiquiaredas trübe Wetter des Rio Negro anzutreffen. Seit einem halbenJahrhundert zweifelte kein Mensch in diesen Missionen mehr daran,daß hier wirklich zwei große Stromsysteme mit einander inVerbindung stehen; der Hauptzweck unserer Flußfahrt beschränktesich also darauf, mittelst astronomischer Beobachtungen den Laufdes Cassiquiare aufzunehmen, besonders den Punkt, wo er in den RioNegro tritt, und den andern, wo der Orinoco sich gabelt. Warenweder Sonne noch Sterne sichtbar, so war dieser Zweck nicht zuerreichen und wir hatten uns vergeblich langen, schwerenMühseligkeiten unterzogen. Unsere Reisegefährten wären gerne aufdem kürzesten Weg über den Pimichin und die kleinen Flüsseheimgekehrt; aber Bonpland beharrte mit mir auf dem Reiseplan, denwir auf der Fahrt durch die großen Katarakten entworfen. Bereitshatten wir von San Fernando de Apure nach San Carlos (über denApure, Orinoco, Atabapo, Temi, Tuamini und Rio Negro) 180 Meilenzurückgelegt. Gingen wir auf dem Cassiquiare in den Orinoco zurück,so hatten wir von San Carlos bis Angostura wieder 320 Meilen zumachen. Auf diesem Wege hatten wir zehn Tage lang mit der Strömungzu kämpfen, im Uebrigen ging es immer den Orinoco hinab. Es wäreeine Schande für uns gewesen, hätte uns der Aerger wegen des trübenHimmels oder die Furcht vor den Moskitos auf dem Cassiquiare denMuth benommen. Unser indianischer Steuermann, der erst kürzlich inMandavaca gewesen war, stellte uns die Sonne und »die großenSterne, welche die Wolken essen,« in Aussicht,sobald wir die schwarzen Wasser des Rio Negrohinter uns haben würden. So brachten wir denn unser erstesVorhaben, über den Cassiquiare nach San Fernando am Atabapozurückzugehen, in Ausführung, und zum Glück für unsere Arbeitenging die Prophezeiung des Indianers in Erfüllung. Die weißen Wasserbrachten uns nach und nach wieder heitereren Himmel, Sterne,Moskitos und Krokodile.
Wir fuhren zwischen den dic