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This etext was prepared by Michael Pullen, globaltraveler5565@yahoo.comand proofread by Dr. Mary Cicora, mcicora@yahoo.com.
Die Leiden des jungen Werthervon Johann Wolfgang von Goethe.
Hamburger Ausgabe, Band 6
Zweites Buch
Am 20. Oktober 1771
Gestern sind wir hier angelangt. Der Gesandte ist unpaß und wird sichalso einige Tage einhalten. Wenn er nur nicht so unhold wäre, wär'alles gut. Ich merke, ich merke, das Schicksal hat mir hartePrüfungen zugedacht. Doch guten Muts! Ein leichter Sinn trägt alles!Ein leichter Sinn? Das macht mich zu lachen, wie das Wort in meineFeder kommt. O ein bißchen leichteres Blut würde mich zumGlücklichsten unter der Sonne machen. Was! Da, wo andere mit ihrembißchen Kraft und Talent vor mir in behaglicher Selbstgefälligkeitherumschwadronieren, verzweifle ich an meiner Kraft, an meinen Gaben?Guter Gott, der du mir das alles schenktest, warum hieltest du nichtdie Hälfte zurück und gabst mir Selbstvertrauen und Genügsamkeit?
Geduld! Geduld! Es wird besser werden. Denn ich sage dir, Lieber,du hast recht. Seit ich unter dem Volke alle Tage herumgetriebenwerde und sehe, was sie tun und wie sie's treiben, stehe ich vielbesser mit mir selbst. Gewiß, weil wir doch einmal so gemacht sind,daß wir alles mit uns und uns mit allem vergleichen, so liegt Glückoder Elend in den Gegenständen, womit wir uns zusammenhalten, und daist nichts gefährlicher als die Einsamkeit. Unsere Einbildungskraft,durch ihre Natur gedrungen sich zu erheben, durch die phantastischenBilder der Dichtkunst genährt, bildet sich eine Reihe Wesen hinauf, wowir das unterste sind und alles außer uns herrlicher erscheint, jederandere vollkommner ist. Und das geht ganz natürlich zu. Wir fühlenso oft, daß uns manches mangelt, und eben was uns fehlt, scheint unsoft ein anderer zu besitzen, dem wir denn auch alles dazu geben, waswir haben, und noch eine gewisse idealistische Behaglichkeit dazu. Undso ist der Glückliche vollkommen fertig, das Geschöpf unserer selbst.
Dagegen, wenn wir mit all unserer Schwachheit und Mühseligkeit nurgerade fortarbeiten, so finden wir gar oft, daß wir mit unseremSchlendern und Lavieren es weiter bringen als andere mit ihrem Segelnund Rudern—und—das ist doch ein wahres Gefühl seiner selbst, wennman andern gleich oder gar vorläuft.
Am 26. November
Ich fange an, mich insofern ganz leidlich hier zu befinden. Das besteist, daß es zu tun genug gibt; und dann die vielerlei Menschen, dieallerlei neuen Gestalten machen mir ein buntes Schauspiel vor meinerSeele. Ich habe den Grafen C… kennen lernen, einen Mann, den ichjeden Tag mehr verehren muß, einen weiten, großen Kopf, und derdeswegen nicht kalt ist, weil er viel übersieht; aus dessen Umgange soviel Empfindung für Freundschaft und Liebe hervorleuchtet. Er nahmteil an mir, als ich einen Geschäftsauftrag an ihn ausrichtete und erbei den ersten Worten merkte, daß wir uns verstanden, daß er mit mirreden konnte wie nicht mit jedem. Auch kann ich sein offnes Betragengegen mich nicht genug rühmen. So eine wahre, warme Freude ist nichtin der Welt, als eine große Seele zu sehen, die sich gegen einenöffnet.
Am 24. Dez