Charles de Coster
Legende von ihren heroischen/lustigen und ruhmreichenAbenteuern im Lande Flandernund andern Orts/
Deutsch von
Friedrich von Oppeln-Bronikowski
Mit Nachwort des Übersetzers
Verlegt bei Eugen Diederichs/
Jena 1911
Dritte Auflage
Sechstes bis zehntes Tausend
Ihr Herren Künstler, gnädige Herren Herausgeber und HerrPoet, ich möchte mir in Bezug auf Ihre erste Ausgabe einigeBemerkungen erlauben. Wie! In diesem dicken Buche, diesemElefanten, den Sie, achtzehn an der Zahl, versuchen zum Ruhmezu führen, haben Sie nicht den kleinsten Platz für den Vogel Minervas,die weise, die verständige Eule gefunden! In Deutschlandund in Flandern, das Sie so sehr lieben, reise ich beständigauf Ulenspiegels Schulter, der nur darum so heißt, weil seinName Eule und Spiegel bedeutet, Weisheit und Gaukelspiel, Uylen Spiegel. Die von Damm, wo er geboren, sprechen den Namender Kürze halber „Ulenspiegel“ aus, und weil sie die Angewohnheithaben „U“ statt „Uy“ auszusprechen. Das ist ihre Sache.
Ihr habt eine andere Auslegung ersonnen: Ulen für UliedenSpiegel / Euer Spiegel / für Euch, Bauern und Herren, Regierteund Regierende, der Spiegel der Narrheiten, Lächerlichkeitenund Verbrechen eines Zeitalters. Das war scharfsinnig,aber unbillig. Man muß nie mit der Tradition brechen.
Vielleicht fandet Ihr den Gedanken seltsam, die Weisheit durcheinen traurigen, possierlichen Vogel zu symbolisieren, / EuresBedünkens durch einen bebrillten Schulfuchs, einen Possenreißervom Jahrmarkt, einen Freund der Finsternis, der unhörbar fliegtund tötet, ohne daß man ihn kommen hört, gleichwie der Tod?Aber Ihr gleichet mir, falsche Biedermänner, die Ihr über michlacht. In mancher Eurer Nächte strömte Blut unter den Streichendes Mordes, der auf Filzsohlen geschlichen kam, damit man ihnebenfalls nicht kommen hörte. Gibt es nicht in Eurer Geschichte gewisseTage, an denen die bleiche Morgendämmerung mit ihrem fahlenScheine die Straßen, die mit den Leichen von Männern, Weibernund Kindern besäet waren, beleuchtete? Wovon lebt Eure Politik,seitdem Ihr die Welt regiert? Vom Erwürgen und Morden.
Ich, die Eule, die häßliche Eule, ich töte, um mich zu ernähren,um meine Jungen zu ernähren; ich töte nicht, um zutöten. Wenn Ihr mir vorwerft, daß ich ein Nest mit jungenVögeln verschlinge, könnte ich Euch nicht ebenso vorwerfen, daßIhr alles, was Odem hat, niedermetzelt? Ihr habt Bücher geschrieben,in denen Ihr gerührten Tones von der Anmut desVogels, seinen Liebesfreuden, seiner Schönheit, vom kunstvollenBau des Nestes und den Ängsten der Mutterschaft sprecht. Hiernachsagt Ihr, in welcher Brühe er angerichtet werden muß undin welchem Monat des Jahres man die saftigsten Gerichte darausmacht. Ich, ich schreibe keine Bücher, Gott bewahre mich,anderenfalls würde ich schreiben, daß, wenn Ihr den Vogel nichtessen könnt, Ihr das Nest verspeist, aus Furcht, um einen Bissenzu kurz zu kommen.
Was Dich betrifft, leichtsinniger Poet, so war es Dein eigner Vorteil,mir in Deinem Werke meinen rechtmäßigen Platz zu geben;denn zwanzig Kapitel darin gehören zum mindesten mir; die andernlaß ich dir ganz zu eigen.[1] Das ist wahrlich das Wenigste, daßman uneinge