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Der niegeküßte Mund | 7 |
Treunitz und Aurora | 81 |
Hilperich | 127 |
Schon von ferne sieht man den gelben, alten, fünfeckigenTurm mit seinem dunklen Ziegeldach, das einer Nachthaubegleicht. Er schließt eine breite, stille Straße mit seltsamregelmäßigen Häusern ab, die sich wie Zierrat ausnehmen. Mitseinem Torbogen scheint er auf den gebrechlichen Schulternzweier Häuser zu stehen; das eine ist die Wirtschaft zum lustigenPfeifer, das andere gehört dem Doktor Maspero. Die Straßesetzt sich verengert bis zum Marktplatz fort, welcher den Eindruckeines städtischen Mittelpunkts macht. Viele ruhige Gassenund Gäßchen zweigen von da ab: zum Schießanger, zur Altmühlbrücke,zur Kirche, und ein ganz schmaler Gang zwischender Apotheke und dem Bezirksamt zur jüdischen Synagoge,einem lustigen Bau aus rotem Backstein, gekrönt von zwei dickbäuchigenKuppeln. Ringsherum zieht sich ein weitläufigerObstgarten, der den Tempelvorhof gegen die Straße frei läßt.Aber diese Straße hat nur noch ein einziges Stirngebäude,eingeklemmt zwischen uraltem Häusergerümpel, doch nicht minderalt und nicht minder baufällig: das Schulhaus. SechsundsechzigKinder, Knaben und Mädchen, werden hier täglich vonHerrn Philipp Unruh in die Geheimnisse des Alphabets undder Arithmetik eingeführt.
Es gibt Namen und Namen. Manche sind ihrem Besitzerwie aus dem Wesen geschnitten, manche passen zu ihm wieetwa die Synagoge zum Obstgarten. Ein solcher Obstgarten,um den Vergleich müde zu machen, war der Name jenes Lehrers.Er selbst und der Kreis seines Daseins waren voller Ruhe. Diekleine Stadt lag unter dem Horizont der Ereignisse. Die Leutevon Gunzenhausen verrichteten ihre Geschäfte bei Tage undschliefen in der Nacht und von eisernen Gesetzen wurden dieStunden geregelt. Uhren und Kalender hatten nur einen äußerlichenWert. Die Glocke schlug, aber was sie schlug, brauchte ankeines Hörers Ohr zu tönen. Die Zeit ging, wie sie seit Ewigkeitengegangen war, aber wohin sie ging, gab keinem Verstandein Rätsel. Nur die Eisenbahnzüge, die das friedliche Altmühltalhinab- und hinaufrollten, brachten einen Duft von Weltmit, von Geschehnissen, vom Wandel der Dinge, von dentraurigen und heiteren Spielen, die in den Ländern vor sichgehen, welche eingespannt liegen zwischen den Ozeanen.
Philipp Unruh war also ein Ruhiger mit den Ruhigen. Erwar auch kein Philippos, kein Pferdefreund, sondern eher derbeschaulich schreitenden Katze zugeneigt. In seinem