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Der Tor

Roman
von
Bernhard Kellermann

Achte Auflage

S. Fischer, Verlag, Berlin
1913

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.
Copyright 1908 S. Fischer, Verlag, Berlin.

Erster Teil

Erstes Kapitel

Jener junge Mann, um den es sich hier handelt, einschlichter junger Mann, wie es deren Tausende gibt,traf gerade zu einer Zeit in der kleinen fränkischen Stadtein, als sich alle Welt in der größten Aufregung befand.

Ein Dienstmädchen nämlich, eine brave und beliebtePerson, die jeder hundertmal mit ihren roten Backenund dem Mund voll weißer Zähne gesehen hatte, nahmsich das Leben. Sie war nicht zur Stelle, als man sierief; man wartete, suchte und fand sie erhängt aufdem Speicher. Aber das war nicht alles. DiesesDienstmädchen mit den roten Backen und weißenZähnen, diese ordentliche, unschuldig aussehende Personhatte zuvor ein Kind geboren und es in ihrer Kammerversteckt. Sie hatte das Kind in ein Körbchen gebettetund in die Ecke hinter einen Schrank gelegt. Ein Gesangbuchlag dabei, ein goldenes Kreuzchen, ein silbernerRing mit einem winzigen blauen Stein. Das Kindwar in ein weißes seidenes Tuch gehüllt. In die Wand,oberhalb des Körbchens, hatte sie eine Unmenge vonKreuzen geritzt, einen ganzen Friedhof. Plötzlich nunschrie das Kind jämmerlich in der Kammer der Magd.Ja, da schreit ja ein Kind, sagten die Leute, in ihrerKammer! Und die Frau des Hauses, Frau Häberlein,die Gattin des Bezirksamtmannes, fand das Kind inder Ecke. Es war in ein seidenes Tuch eingehüllt, dasdie Frau des Hauses dem Dienstmädchen einige Wochenvorher zu Weihnachten geschenkt hatte. Ein fast neues,feines Tuch.

Die Stadt geriet mehr und mehr in Aufregung.Man riß die Fenster auf und rief: Was ist denn wieder?Ein Kind, sie haben ein Kind in ihrer Kammer gefunden!Zwei barmherzige Schwestern schwebten überden Marktplatz und verschwanden im Hause des Bezirksamtmannes.Sie trugen das Kind in das Waisenhaus.

Aber damit war es noch nicht zu Ende. Plötzlichhörte man ein Geschrei auf der Straße, ein schrecklichesGeschrei, und man sah eine verschrumpfte, alte Frau,ein winziges Etwas von einer alten Frau, in großenFilzsocken durch die Straßen rennen. Sie lief in dasHaus des Bezirksamtmannes, erschien wieder schreiend,lief zum Westtor und zurück zum Osttor, hin und her,und immer tauchte sie wieder auf und ihr Geschreiund entsetzliches Weinen schien überall zu sein undplötzlich dicht unter den Fenstern aus dem Erdbodenzu dringen. Die Leute öffneten die Fenster: BeruhigenSie sich doch! sagten sie. Sie sagten es mit eindringlicher,tiefer Stimme; sie sagten es weich undtröstend. Aber die kleine alte Frau sah nichts, hörtenichts. Sie schlug die Hände über dem Kopfe zusammen,rannte Straße auf, Straße ab und schrie, schrie.

Vor dem Westtor gab es eine Szene. Hier kamein Fleischergeselle auf einem Karren angefahren, indem ein Rudel kleiner Schweine saß. Arbeiter, Handwerkerstellten den Wagen und fielen mit den Fäustenüber den

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