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Wilhelm Meisters Wanderjahre—Buch 3oder die Entsagenden
Drittes Buch
Erstes Kapitel
Nach allem diesem, und was daraus erfolgen mochte, war nun Wilhelmserstes Anliegen, sich den Verbündeten wieder zu nähern und mitirgendeiner Abteilung derselben irgendwo zusammenzutreffen. Er zogdaher sein Täfelchen zu Rat und begab sich auf den Weg, der ihn vorandern ans Ziel zu führen versprach. Weil er aber, den günstigstenPunkt zu erreichen, quer durchs Land gehen mußte, so sah er sichgenötigt, die Reise zu Fuße zu machen und das Gepäck hinter sich hertragen zu lassen. Für seinen Gang aber ward er auf jedem Schrittereichlich belohnt, indem er unerwartet ganz allerliebste Gegendenantraf; es waren solche, wie sie das letzte Gebirg gegen die Flächezu bildet, bebuschte Hügel, die sanften Abhänge haushälterischbenutzt, alle Flächen grün, nirgends etwas Steiles, Unfruchtbares undUngepflügtes zu sehen. Nun gelangte er zum Haupttale, worein dieSeitenwasser sich ergossen; auch dieses war sorgfältig bebaut, anmutigübersehbar, schlanke Bäume bezeichneten die Krümmung desdurchziehenden Flusses und einströmender Bäche, und als er die Karte,seinen Wegweiser, vornahm, sah er zu seiner Verwunderung, daß diegezogene Linie dieses Tal gerade durchschnitt und er sich also vorerstwenigstens auf rechtem Weg befinde.
Ein altes, wohlerhaltenes, zu verschiedenen Zeiten erneuertes Schloßzeigte sich auf einem bebuschten Hügel; am Fuße desselben zog einheiterer Flecken sich hin mit vorstehendem, in die Augen fallendemWirtshaus; auf letzteres ging er zu und ward zwar freundlich von demWirt empfangen, jedoch mit Entschuldigung, daß man ihn ohne Erlaubniseiner Gesellschaft nicht aufnehmen könne, die den ganzen Gasthof aufeinige Zeit gemietet habe; deswegen er alle Gäste in die ältere,weiter hinauf liegende Herberge verweisen müsse. Nach einer kurzenUnterredung schien der Mann sich zu bedenken und sagte: "Zwar findetsich jetzt niemand im Hause, doch es ist eben Sonnabend, und der Vogtkann nicht lange ausbleiben, der wöchentlich alle Rechnungenberichtigt und seine Bestellungen für das Nächste macht. Wahrlich, esist eine schickliche Ordnung unter diesen Männern und eine Lust, mitihnen zu verkehren, ob sie gleich genau sind, denn man hat zwarkeinen großen, aber einen sichern Gewinn." Er hieß darauf den neuenGast in dem obern großen Vorsaal sich gedulden und, was ferner sichereignen möchte, abwarten.
Hier fand nun der Herantretende einen weiten, saubern Raum, außerBänken und Tischen völlig leer; desto mehr verwunderte er sich, einegroße Tafel über einer Tür angebracht zu sehen, worauf die Worte ingoldnen Buchstaben zu lesen waren: "Ubi homines sunt modi sunt";welches wir deutsch erklären, daß da, wo Menschen in Gesellschaftzusammentreten, sogleich die Art und Weise, wie sie zusammen sein undbleiben mögen, sich ausbilde. Dieser Spruch gab unserm Wanderer zudenken, er nahm ihn als gute Vorbedeutung, indem er das hierbekräftigt fand, was er mehrmals in seinem Leben als vernünftig undfördersam erkannt hatte. Es dauerte nicht lange, so erschien der Vogt,welcher, von dem Wirte vorbereitet, nach einer kurzen Unterredungund keinem sonderlichen Ausforschen ihn unter folgenden Bedingungenaufnahm: drei Tage zu bleiben, an allem, was vorgehen möchte, ruhigteilzunehmen und, es geschehe, was wolle, nicht nach der Ursache zufragen, so wenig als beim Abschied nach der Zeche. Das alles mußteder Reisende sich gefallen lassen, weil der Beauftragte in keinemPunkte nachgeben konnte.
Eben wollte der Vogt sich entfernen, als e